Recht auf Schutz auf der Flucht

Eine massive Flüchtlingswelle breitet sich derzeit über den Globus aus. Millionen Menschen fliehen vor Gewalt, Armut und Perspektivlosigkeit. Die meisten Menschen fliehen aus Syrien, Afghanistan und Somalia. Das Land, das weltweit am meisten Flüchtlinge aufgenommen hat, ist die Türkei (2,9 Millionen Ende 2016).

Ein Flüchtling ist ein Mensch, der aus Angst um sein Leben aus seiner Heimat flüchten muss, zum Beispiel, weil dort Krieg herrscht, weil er wegen seiner Religion oder seiner politischen Überzeugung verfolgt wird oder weil er zu einer bestimmten Volksgruppe gehört, die in seinem Land bekämpft wird.

Menschen, die ins Ausland flüchten, z.B. weil ihre Heimat nach einer Naturkatastrophe verwüstet ist oder weil sie arm sind und in ihrer Heimat nicht überleben können, gelten rechtlich nicht als Flüchtlinge, sondern als Migranten.

Die meisten Menschen flüchten über die Grenzen eines Nachbarlandes, um Krieg und Massakern zu entkommen. Diejenigen, die die Flucht nicht schaffen, sind als Vertriebene in ihrem Heimatland in einer noch schlimmeren Situation, da sie von internationalen Hilfsorganisationen nur schwer erreicht werden. Neben der Flucht vor Krieg, Unterdrückung und Gewalt, verlassen Millionen Menschen ihre Heimat, da sie für sich und ihre Familien keine Perspektiven mehr sehen.

Verfolgt man die aktuelle Diskussion um Flucht und Migration, vor allem aus Afrika und dem Nahen Osten, bekommt man schnell den Eindruck, alle Migrationswege weltweit führten nach Europa. Doch der Großteil weltweiter Migration findet innerhalb der Herkunftsländer der Flüchtenden beziehungsweise Migrantinnen und Migranten statt oder hat die Nachbarländer als Ziel. Nur die wenigsten nehmen den gefährlichen und häufig tödlichen Weg nach Europa auf sich.

Fakten zum Thema Flucht

Wir geraten in eine Epoche, in der das Ausmaß der globalen Flucht und Vertreibung sowie die zu deren Bewältigung notwendigen Reaktionen alles davor gewesene in den Schatten stellen“ UN-Flüchtlingskommissar António Guterres.

  • Derzeit befinden sich weltweit über 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Dies ist die höchste Zahl, die jemals verzeichnet wurde.

  • Neun von zehn Flüchtlingen (84 Prozent) leben in Entwicklungsländern, da die meisten Flüchtlinge lediglich in ein Nachbarland fliehen.

  • Die Hälfte aller Flüchtlinge sind jünger als 18 Jahre. 2016 stellten 75.000 unbegleitete Flüchtlingskinder Asylanträge (im Vergleich: 2015 waren es 98.400).

  • Den größten Teil – 40,3 Millionen – bilden die sogenannte Binnenvertriebene (Internally Displaced Persons – IDP). Sie fliehen innerhalb ihres eigenen Landes, ohne dabei internationale Landesgrenzen zu überschreiten.

Allein das massive Leid des Kriegs in Syrien mit 6,3 Millionen Binnenvertriebenen und 5,3 Millionen Flüchtlingen in der benachbarten Region machten den Nahen Osten zur größten Herkunftsregion. Seit Mitte der 1990er Jahre eskalieren mehr und mehr innerstaatliche Konflikte – mit schlimmen Folgen für die Bevölkerung der betroffenen Regionen. Hunger, Vertreibung und Völkermord sind Begleiter dieser neuen Kriege und Konflikte. Die innerstaatlichen Instabilitäten verursachen Probleme, die die Staatengemeinschaft auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten stark in Anspruch nehmen werden.

Theorie: Die Rechte von Flüchtlingskindern

Wichtigste rechtliche Grundlage für Flüchtlinge bzw. Flüchtlingskinder bildet zum einen die sogenannte Genfer Konvention von 1951. Die Konvention legt klar fest, wer ein Flüchtling ist, welchen rechtlichen Schutz, welche Hilfe und welche sozialen Rechte sie oder er von den Unterzeichnerstaaten erhalten sollte. Aber sie definiert auch die Pflichten, die ein Flüchtling dem Gastland gegenüber erfüllen muss und schließt bestimmte Gruppen – wie z.B. Kriegsverbrecher – vom Flüchtlingsstatus aus. Die Genfer Konvention wurde bis Ende 2017 von 196 Staaten ratifiziert.

Zum anderen definiert die Europäische Grundrechtecharta gemeinsame Grundwerte der Europäischen Union, zum Beispiel das Recht auf Asyl (Art. 18), die Nicht-Diskriminierung (Art. 21), den Respekt einer Vielfalt von Sprachen und Kultur (Art. 22) und nicht zuletzt auch die Rechte der Kinder (Art. 24).

Und schließlich definiert das nationale Rechtssystem eines jeden Staates, wer einen Flüchtlingsstatus erhält und wie Aufnahme und Integration geregelt werden. Grundsätzlich gilt die UN-Kinderrechtskonvention für alle Kinder weltweit. Maßgeblich ist immer, das Wohl des Kindes in den Vordergrund zu stellen.

Die Rechte von Flüchtlingskindern werden ganz konkret in Artikel 22 der Kinderrechtskonvention formuliert:

Artikel 22: Recht auf besonderen Schutz für Flüchtlingskinder

  • Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass ein Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrt oder nach Maßgabe der anzuwendenden Regeln und Verfahren des Völkerrechts oder des innerstaatlichen Rechts als Flüchtling angesehen wird, angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte erhält, die in diesem Übereinkommen oder in anderen internationalen Übereinkünften über Menschenrechte oder über humanitäre Fragen, denen die genannten Staaten als Vertragsparteien angehören, festgelegt sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich in Begleitung seiner Eltern oder einer anderen Person befindet oder nicht.

  • Zu diesem Zweck wirken die Vertragsstaaten in der ihnen angemessen erscheinenden Weise bei allen Bemühungen mit, welche die Vereinten Nationen und andere zuständige zwischenstaatliche oder nichtstaatlichen Organisationen, die mit den Vereinten Nationen zusammenarbeiten, unternehmen, um ein solches Kind zu schützen, um ihm zu helfen und um die Eltern oder andere Familienangehörige eines Flüchtlingskinds ausfindig zu machen mit dem Ziel, die für eine Familienzusammenführung notwendigen Informationen zu erlangen. Können die Eltern oder andere Familienangehörige nicht ausfindig gemacht werden, so ist dem Kind im Einklang mit den in diesem Übereinkommen enthaltenen Grundsätzen derselbe Schutz zu gewähren wie jedem anderen Kind, das aus irgendeinem Grund dauernd oder vorübergehend aus seiner familiären Umgebung herausgelöst ist.

Weitere Artikel, die in dem Zusammenhang von Bedeutung sind:
Artikel 10: Familienzusammenführung, grenzüberschreitende Kontakte
Artikel 38: Schutz bei bewaffneten Konflikten; Einziehung zu den Streitkräften

Das bedeutet, dass Flüchtlingskinder besondere Schutzrechte erhalten: Alle Länder, die die UN-Kinderrechtskonvention unterschrieben haben, müssen Flüchtlingskindern diesen Schutz gewähren. Man spricht auch von „Recht auf Asyl“.

Wenn Kinder alleine aus ihrer Heimat fliehen, muss ihnen besonders geholfen werden, ihre Familie wiederzufinden. Sollte das nicht möglich sein, so muss das Kind in Schutz und Obhut genommen werden, wie alle anderen Kinder auch.

Kinder dürfen nicht in Kriegsgebiete zurückgeschickt werden und keinesfalls gezwungen werden, selber als Kindersoldat im Krieg oder in einem Bürgerkrieg mitzumachen, wenn sie jünger als 15 Jahre ist. Und kein Kind unter 15 Jahren darf als Soldat zum Militärdienst eingezogen werden. Sollte es in einem Land zu einem Krieg oder Bürgerkrieg kommen, ist es durch seine Unterschrift unter die UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet, die Kinder besonders zu schützen und ihnen zu helfen. Natürlich gelten die Rechte auf Nahrung, Gesundheit, Bildung, auf Schutz gegen Missbrauch und alle anderen Kinderrechte in besonderem Maße auch für Flüchtlingskinder.

Praxis: Wie leben Flüchtlingskinder?

Wenn sie in ihrem Zufluchtsland ankommen (meist sind dies die Nachbargebiete ihres Heimatlandes), leben die Flüchtlingskinder und ihre Familien meist in – oft provisorisch hergerichteten – Gemeinschaftsunterkünften. Fast alle Kinder haben traumatische Erlebnisse hinter sich durch Krieg, Flucht und oft auch den Tod von Familienangehörigen. Sie mussten ihre vertraute Umgebung, Familie, Freunde und Eigentum zurücklassen, sich teilweise verstecken und – nicht selten unter Lebensgefahr – in eine völlig ungewisse Zukunft aufbrechen.

Die neue Umgebung ist entsprechend oft sehr fremd, die Kinder müssen mit einer unbekannten Sprache und einer anderen Kultur zurechtkommen. Die Eltern können meist nicht helfen – auch sie haben Schreckliches erlebt, können sich nur schlecht verständigen und sind mit ganz neuen Lebensbedingungen konfrontiert.

Auch nach der Ankunft im neuen Land folgt oft lange Ungewissheit, ob man als Flüchtling anerkannt wird. Unter erschwerten Lebensbedingungen in den Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge müssen die Menschen zum Teil jahrelang warten, ob sie im neuen Land bleiben dürfen. Familien leben auf engstem Raum zusammen, gekocht wird in notdürftig ausgestatteten Gemeinschaftsküchen, sanitäre Anlagen sind zum Teil in schlechtem Zustand und werden oft mit mehreren Bewohnern geteilt.

Flüchtlinge haben in der Regel nicht die Möglichkeit zu arbeiten und selber Geld zu verdienen, der notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege wird durch Sachleistungen gedeckt. Ein selbstbestimmtes Leben ist so fast nicht möglich.

Nicht überall haben die Kinder die Möglichkeit, wieder zu lernen und zur Schule zu gehen. Sie verlieren dadurch die Chance, altersgemäße Bildung zu bekommen und riskieren, später als Erwachsene nicht selber für sich sorgen zu können und dauerhaft durch Armut bedroht zu sein.

Hilfe, um ihre schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten, steht nur in Ausnahmefällen zur Verfügung. Lebenslange Angst, Alpträume oder Aggression können die Folge sein. Besonders problematisch und sehr komplex ist die Situation von Kindern, die ohne ihre Familie flüchten mussten, die sogenannten „unbegleiteten Minderjährigen“.

Ausblick

Über die Hälfte aller Flüchtlinge auf der Welt sind Kinder. Sie sind besonders schutzbedürftig. Um den Schutz von Flüchtlingskindern und ihre Betreuung zu verbessern und zu erweitern, hat das UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR „Grundsätze für Flüchtlingskinder“ erstellt, die Anhaltspunkte geben, wie den Rechten sowie den psychologischen und materiellen Anforderungen von Flüchtlingskindern Rechnung getragen werden kann.

Entscheidend für die Lebenssituation der Flüchtlingskinder ist letzten Endes das am Wohl der Kinder orientierte Handeln von staatlichen Stellen und Institutionen, aber auch das Engagement von wohltätigen Vereinen und Initiativen und nicht zuletzt von Einzelpersonen, die sich für die Kinder und Jugendlichen einsetzen. Es gibt Möglichkeiten, Flüchtlingskinder zu unterstützen und ihre Lebenssituation positiv zu verändern. Diese zu nutzen, sinnvolle Maßnahmen zu unterstützen und in die Tat umzusetzen wird eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahre sein.

Weiterführende Informationen

Informationen und aktuelle Zahlen zum Thema Flucht:
Übersicht und Statistiken des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR: Deutsch und English
Übersicht aller UN-Policies und Berichte zum Thema Schutz von Kindern

Flüchtlingssituation in Luxembourg: http://www.olai.public.lu/fr/index.html

Lehrmaterialien zum Thema Flucht, z.B.
UNHCR
UNO-Flüchtlingshilfe
schule.at
BPB
PHBern
Bildungsserver
Kindernothilfe

Internetdokumentationen
Eindrücke aus Dadaab, dem größten Flüchtlingscamp der Welt im Norden Kenias
Eine virtuelle Reise ins syrische Flüchtlingscamp Domiz im Nordirak
Eine multimediale Reportage entlang der Grenzen Europas

Syrian Journey (interaktive BBC-Reportage)
Download einer kostenlosen App der UNO-Flüchtlingsorganisation UNCHR, durch die man die schwierige Situation von Flüchtlingen nachvollziehen kann
Flüchtlingskinder berichten aus ihrem Leben

Dieser Text wurde von Kindernothilfe Luxembourg verfasst.